Geschichten rund um die Kinderrechte
Wenn ich Kindern Geschichten erzähle und sie dann mit ihnen male oder spiele, fördere ich damit ihre Resilienz. Das geht wunderbar mit Märchen und fantastischen Geschichten, aber natürlich auch mit realen Geschichten aus dem Alltag der Kinder. So zum Beispiel mit diesen beiden Geschichten. Sie thematisieren die Kinderrechte. Ich habe sie zur Woche der Kinderrechte geschrieben und Kindern im KiFaZ Am Bügel in Frankfurt erzählt. Anschließend haben wir „Säulen“ für die Kinderrechte gebastelt. Die Auseinandersetzung der Kinder mit ihrem Recht auf eine eigene Meinung. (Kinderrechte, Absatz 12) war sehr spannend für die Kinder und mich.
Ich will aber...
Mila ist fünf Jahre alt. Sie teilt sich das Zimmer mit ihrer großen Schwester Leni. Die ist 15 Jahre. Leni ist absoluter Ed Sheeran Fan. Auf ihrer Seite des Zimmers hängen drei große Poster von dem Sänger. Mila liebt Peppa Wutz.
Mila möchte eigentlich immer Peppa Wutz Filme sehen. Sie kann sie wieder und wieder anschauen, obwohl sie eigentlich alle 38 auswendig kennt. Mila schaut Peppa Wutz Filme auf dem iPad ihrer Schwester, wenn die lernt, telefoniert oder sich schminkt. Mila hat das mit den YouTube Filmen dank Leni voll drauf.
Das einzige Problem ist Mama. Mama will auf keinen Fall, dass Mila ständig Peppa Wutz schaut. Sie ist der Meinung, dass Mila lieber spielen oder rausgehen soll. Mila aber will Filme schauen.
Gestern gab es mal wieder ein riesiges Geschrei deshalb. Leni lag auf dem Bett und telefonierte mit ihrer Freundin. Mila saß mit dem iPad hinter dem Vorhang und sah Peppa Wutz. Da kam Mama rein. Sie überblickte die Lage sofort und begann zu schimpfen. Mila schimpfte noch lauter und Leni war komplett genervt. Sie motzte beide an. „Mila, wieso musst du dauernd Peppa Wutz schauen. Das nervt!“ „Aber, aber Peppa Wutz ist doch einfach toll, ich liebe das Schweinchen, ich will es immer sehen.“ „Okay! Mama, was sagst du? Wieviel Filme pro Tag darf sie?“ „Also, wenn es unbedingt sein muss, dann eine halbe Stunde pro Tag!“, antwortete Mama.
„Das ist viel zu wenig!“ flennte Mila. „Stopp mal Schwesterlein. Ich habe kapiert, dass du Wutz liebst. Also so wie ich Ed Sheeran. Was hältst du davon, wenn ich dir ein sehr großes Blatt und meine coolen Stifte gebe und du malst die ganze Wutz Familie. Dann hängen wir das auf deine Seite des Zimmers. So wie meine Ed Sheeren Poster auf meiner Seite hängen. Die Schweinchen sind dann bei dir – immer. Und zusätzlich darfst du ja auch eine halbe Stunde pro Tag Filme schauen. Und so bleibt genug Zeit zum draußen spielen und so. Damit Mama zufrieden ist.“ Mila schaute Mama an: „Versprochen? Ich entscheide wann ich die halbe Stunde schaue und du motzt nicht rum?“
Mama nahm Mila in den Arm und strahlte sie an. Ja, du sollst ja so viel Peppa Wutz haben, wie du willst, wenn dir das so wichtig ist. Ich habe sogar noch eine Idee. Ich habe noch Stoffmalfarbe, wir kaufen dir ein weißes T-Shirt und malen deine Lieblings-Wutz da drauf. Dann geht Peppa sogar mit dir in die Kita!“
„Echt jetzt?“ fragte die große Schwester. „Dann bekomme ich aber auch ein Ed Sheeren Shirt, der ist nämlich …“ Mama lachte: „Bekommst du! Hast du dir echt verdient. Weil du dich für deine Schwester eingesetzt hast. Ich bin stolz auf meine meinungsstarken Töchter. Vielleicht bekomme ich ein T-Shirt mit Bildern von euch?“
Wir wollen mitreden
Das hatte Frau Schneider noch nie erlebt. Wahnsinn! Sie hatte fünf Minuten vor dem Ende der letzten Stunde Einladungen an die Eltern der Kinder verteilt. Alle Eltern wurden zu einer Infoveranstaltung über die neue Schulhof-Gestaltung eingeladen. Die Kinder sollten die Briefe ihren Eltern geben. Aber es kam anders. Als Frau Schneider den letzten Zettel verteilt hatte, standen alle Kinder auf und zerrissen demonstrativ die Einladungen. Leni die Klassensprecherin sagte: „Wir geben unseren Eltern diese Einladung nicht. Wir finden nämlich, dass es nicht geht, dass mit unseren Eltern über den neuen Schulhof gesprochen wird und nicht mit uns. Überhaupt hat uns keiner gefragt, wie wir den Schulhof umgestalten würden. Dabei sind wir jeden Tag auf dem Schulhof. Und nicht unsere Eltern.“
„Ja schon, aber...“ antwortete Frau Schneider, „das geht nicht, dass ihr ein Schreiben an eure Eltern einfach zerreißt.“ „Aber geht es, dass man unsere Meinung in Sachen Schulhof gar nicht hören will?“ fragten die Schüler:innen. Frau Schneider war sehr froh, dass es zur Pause läutete und sagte schnell: „Wir sprechen morgen nochmal drüber.“ Dann verschwand sie verwirrt in Richtung Lehrerzimmer. Dort wurde sie noch verwirrter. Denn allen Kolleginnen und Kollegen, die in ihren Klassen diesen Zettel verteilt hatten, war das gleiche passiert. Ein Aufstand an der Astrid-Lindgren-Schule. Unglaublich! Die Kinder wollten mitreden. Es gab eine aufgeregte Diskussion im Lehrerzimmer. Die meisten Kollegen und Kolleginnen fanden den Aufstand der Kinder gut. „Sie haben Recht. Warum haben wir sie nicht nach ihrer Meinung gefragt. Lasst es uns jetzt tun. Es ist noch nicht zu spät!“ sagten sie. Andere sprachen dagegen: „Die Kinder haben keine Ahnung was wieviel kostet, vielleicht wollen sie Sachen, die wir gar nicht finanzieren können und von Sicherheit und so haben sie doch auch keine Ahnung.“
„Aber ich!“ wurden die erstaunten Lehrer da unterbrochen. Niemand hatte in der Aufregung bemerkt, dass die Architektin, Frau Zimmermann, die die Neugestaltung des Schulhofs plante, mit der Rektorin das Lehrerzimmer betreten hatte. „Ehrlich gesagt, ich finde klasse, was die Kids gemacht haben. Und ja, ich würde sehr gerne die Meinung der Kinder zur Schulhofgestaltung hören. Denn wenn ich hier was baue, was die Kids nicht wollen und nicht nutzen, ist das eigentlich Geldverschwendung.“ „Na, da sage ich doch mal, Respekt vor unseren Schülern und Schülerinnen“ sagte die Rektorin. „Und schauen sie mal aus dem Fenster. Scheinbar ist keiner von denen heimgegangen. Sie stehen alle unten auf dem Schulhof und warten auf unsere Reaktion. Mein Vorschlag: ich gehe raus und sage ihnen, dass morgen in allen Klassen drei Stunden der reguläre Unterricht ausfällt. In den ersten beiden Stunden kann in allen Klassen über die Schulhofgestaltung gesprochen werden. Alle Kinder dürfen ihre Meinung sagen und ihre Vorstellung zur Neugestaltung diskutieren. Nach der Pause können die Klassen ihr Ergebnis jeweils auf einer Seite zusammenfassen. Dann bekommt Frau Zimmermann eine Woche Zeit sich durch die 24 Klassenvorschläge durchzuarbeiten. Und nächste Woche treffen wir uns in der Aula und Frau Zimmermann sagt den Kids, welche Ideen am häufigsten genannt wurden und welche umsetzbar sind.“
Die Rektorin trat tatsächlich ans Fenster und verkündete den fast 400 Kids, dass sie den Aufstand verstanden habe, dass die Meinung aller gefragt sei und auch gehört würde. Die Kinder feierten ihren Sieg. Die Schulsprecher bedankten sich.
Dann wurde es schwieriger. Bei der Diskussion in den Klassen gab es nämlich sehr viele verschiedene Meinungen zur Schulhofgestaltung: „Hauptsache ein Fußballplatz! Auf keinen Fall, lieber eine große Wiese. Stühle und Bänke zum Chillen. Nein eine Kletterwand – Action ist angesagt. Alle durften ihre Meinung sagen. Das Herausfinden der Dinge, die für alle passten, war nicht wirklich einfach. Aber alle waren voll motiviert, lernten die anderen Vorschläge zu überdenken und zum Schluss waren die Schüler:innen ebenso stolz wie die Lehrer:innen auf das Ergebnis.
Dann übernahmen die Kids die Einladung der Eltern. Es wurde der erste Gesamtelternabend der Schule mit Eltern und Kindern. Dann dauerte es eine ziemliche Weile, bis der neue Schulhof fertig war. Aber nach einem halben Jahr gab es ein großes Einweihungsfest. Die Feier hatten die Schüler und Lehrer gemeinsam gestaltet. Die Architektin sagte in ihrer Einweihungsrede, dass sie sehr viel von den Kids gelernt hätte und in Zukunft sicher immer die Kinder nach ihrer Meinung fragen würde. Der Schulsprecher antwortete: „Wir sind ja schließlich die Astrid-Lindgren-Schule. Wir haben das von Pippi Langstrumpf, die sagt schließlich auch immer ihre Meinung.“